Bücher, die ich las

24.02.2013

Jörg Lau: Hans Magnus Enzensberger. Ein öffentliches Leben. Berlin: Alexander Fest, 2. Aufl. 1999.

Meine Eltern schenkten mir dieses Buch aus ihren Beständen. Ich las es schon vor Monaten fertig. Ein Panorama tut sich vor einem auf! Das intellektuelle Leben der Bundesrepublik, Gruppe 47, Adorno, 68er Revolution. Enzensbergers Bruder gründete legendäre Kommunen in großbürgerlichen Wohnungen, die ihnen von Hans Magnus überlassen wurden, solange der auswärts weilte. Erst galt er als ganz links und revolutionär, aber 1968 war er schon zu alt. Oder man sagt, er war zu klug. Schöne Gedichte hat er verfasst, ein Sprachkünstler vor dem Herrn. Dem ist er treu geblieben, trotz Revolution. Einerseits ein Wendehals, andererseits sich selbst treu. Interessante Ehegeschichten. In diesem Buch wird die Bundesrepublik einem viel klarer, in der wir leben. Zwei Gedichte aus diesem Buch (S.281) hab ich getippt in die Rubrik Gedichte und Bücher.

Hakan Nesser: Eine ganz andere Geschichte. Roman. Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt. Ein Fall für Inspektor Barbarotti. München: btb-Verlag, 2008. Orig. En helt annan historia, Stockholm: Albert Boniers, 2007. Toll zu lesen. Eins der Bücher, wo man nach dem Fertiglesen Entzugserscheinungen hat. 

Erinnerte mich in seinem Sittengemälde unserer Gesellschaft bzw. der schwedischen an Ben Elton: Past Mortem. London: Black Swan, 2005. (Geschenk einer Kollegin.) Beidesmal Serienmörder, beidesmal jeweils mit Ansage. Spannend und extrem unterhaltsam, zum Schießen, Totlachen und Nachempfinden: Ja, genau das hab ich auch erlebt, nur konnt ich es nicht so auf den Punkt bringen. Krass, wie Nesser und Elton es herausschreien bzw. sanft zeichnen, je nachdem.

17. Jan. 2013

Vor Jahren schenkte mir ein Kollege "Hausaufgaben" von Jakob Arjouni (2004). Ein 68er-Lehrer-Leben. Sehr lesenswert und scharf beobachtet, kurzweilig, witzig. Ich erinnerte mich daran, weil spiegel.de eben meldet, dass der heute jung an Krebs gestorben ist. Schade! 

Sa, 15. Dez. 2012

Tim Parks: Das Geld der Medici, übersetzt von S. Höbel, München: Goldmann, 2009 (orig. Medici Money, Banking, Metaphysics and Art in Fifteenth-Century Florence, London: Atlas, 2005).

 

(Mir geschenkt von einem lieben Freund zum Geburtstag 2011, leider habe ich keine Widmung hineingeschrieben, bitte melden!) 

 

Faszinierend dabei zu sein im Proto-Kapitalismus in Florenz und Venedig, den damaligen Weltzentren in jeder Hinsicht: Kunst, Geist, Geschmack, Geld, Unterhaltung. Parks schreibt anschaulich, locker, bietet -- auch dies im spannenden Text verpackt -- umfangreiche Bibliografie: was man zu dem Thema sonst lesen kann und wie man sich beim Lesen fühlt bzw. was man von den großen Standardwerken profitiert oder sich darin auch langweilt, die Italiener mit ihrer Schriftkultur, der Vatikan aus dieser Zeit bieten Regal-Kilometer an detailliertesten Akten! Diese wiederum wurden über die Jahrhunderte von großen Historikern durchgeackert bzw. manche Akten-Kilometer liegen noch ungelesen in Italien rum. 

 

Der Gegensatz von Glaube, Fleiß, Abwägen, Gewissensbissen, Pragmatismus wird betont: Zinsnehmen war eigentlich verboten, zumindest sehr umstritten, heiß diskutiert, aber doch gab es eine Praxis, die aber im Rahmen blieb. Die Nützlichkeit des neuen Fernhandels und Geldhandels wird gezeigt. Die grün bespannten Geldwechslertische in den Straßen und unter den Arkaden von Florenz. Zwar werden Goldmünzen noch sehr riskant in Stoffballen eingewickelt über die europäischen Schlammstraßen geschickt, aber der meiste Geldverkehr wird über Schecks abgewickelt. In Musterbüchern stehen die Handschriften der Bankangestellten von Genf, London, Florenz, Rom. Mit diesen Mustern werden die eingehenden Schecks verglichen: stimmt die Handschrift überein, ist der Scheck gültig. Der Autor ist fasziniert davon, dass die ersten Medicis im Gewissenskonflikt zwischen religiösen Bedenken und Faszination der neuen Möglichkeiten von Macht und Geld die Macher waren und dadurch Grandioses schufen. Später gingen sie ebenso grandios bankrott, das Alaun-Monopol half nicht mehr. Es bleiben aber die herrlichen Kunstwerke, z.B. eines Fra Angelico in San Marco. Es bleibt die Schlüsselstellung in der Weltgeschichte, der Durchbruch im Denken, in der Kunst, in der Wirtschaft, in der Politik, der so viel Segen brachte für kommende Generationen: Freiheit, Bilderfreude, Musik, Feinheit und Geschmack, Kultiviertheit, Demokratie, Diskussionsfreude, Wahlmöglichkeiten, günstige und gute Kleidung, Nahrung für alle, Vermeidung von Krieg.

 

Parks deutet an, wie es weiterging: In Flandern bricht der Wohlstand aus, siehe die flämischen Maler, die so einzigartig Kaufleute porträtiert haben. Das kirchliche Zinsverbot kommt dann am Ende des Mittelalters doch noch offiziell. Juden werden in das Geschäft gedrängt. Aber in London kommt die Reformation, und die hebt das Zinsverbot auf. Der Kapitalismus verlagert sich nach Übersee, nach Nordeuropa. (Wenn ich es recht weiß, erfindet die Londoner Bank Jahrhunderte nach der Reformation das Papiergeld.) Heute denk ich an die Wall Street beim Wort Kapitalismus. Und an Max Weber, der den Kapitalismus aus dem Protestantismus ableitet, besonders aus der calvinistischen, puritanischen, pietistischen Denkweise. Hier fielen mir beim Lesen die Parallelen auf: Der puritanische Weber, der in der Proto-Industrialisierung in religiöser Berufsethik, Sparsamkeit, Fleiß seine ungeheuren Kapitalmengen anhäuft, aber nicht genießt (kein Alkohol, keine Schulden, frühes Aufstehen, immer Beten und Arbeiten), sondern re-investiert in die ersten Fabriken, die ersten Maschinen im großen Maßstab anschafft, noch reicher wird ... das erinnert auf anderer Ebene an diese ersten Medici. Grandioses wird geschaffen, die Menschheit lebt davon bis heute.

 

Aber zwei Vorstufen der Medici deutet Tim Parks nicht einmal ein: Der Widerspruch zwischen religiösen Bedenken und wirtschaftlichem Riesen-Erfolg, der so fruchtbar zu sein scheint um nicht zu sagen explosiver Antrieb der Weltgeschichte (eine Rolle der Religion, die vor lauter Clash of Civilizations heute nicht gesehen wird?), dieser ertragreiche Widerspruch zeigt sich nicht nur im italienischen Früh-Kapitalismus und in der englischen Industrialisierung, die zur amerikanisch-kapitalistischen Weltherrschaft nach 1989 führte,

 

sondern es liegt auf der Hand, dass bereits die europäische Klosterkultur all dies in sich trug: das Paradox von Armuts-Ideal und Reichtums-Realität, von asketischer Welt-Entsagung und gleichzeitiger Welt-Gestaltung, Ruhm, Glanz und Welt-Veränderung (dieses Paradox trägt in der Theologie Christus in sich, Opfer am Kreuz und Weltenherrscher, höchster Gott und niedrigster Mensch in Einem): die Klöster waren Träger von Kunst, Musik, Literatur, aber eben auch Wirtschaft, Erschließung, von Pioniertaten auf dem Kontinent, sie überbrückten die sogenannten primitiven Jahrhunderte, denn die zweite Vorstufe steht wiederum davor:

 

Eine Kontinente übergreifende Geldwirtschaft (die Klöster waren eine Naturalwirtschaft) gab es bereits im alten Rom, die Geldwechslertische, Groß-Kredite, Schecks, Versicherung von Schiffsladungen, Out-Sourcing an private Groß-Unternehmen, die das Steueraufkommen einer Provinz komplett vorstreckten und das Steuer-Eintreiben gleich per Billig-Arbeitskräften selbst übernahmen, all das erfanden nicht die Florentiner, wie man bei Tim Parks zu lesen bekommt, sondern die schauten das bei den Römern ab. Die Medicis lasen ja die aus Konstantinopel importierten griechischen und lateinischen Schriftsteller fleißig. Nicht nur die Kunst und heidnische Philosophie im Neu-Platonismus war eine Wiedergeburt der Antike (Renaissance, Rinascimento), sondern eben auch das Geldwesen. Außerdem ist das Buch an manchen Stellen grottenschlecht übersetzt. Dabei ist Susanne Höbel eine preisgekrönte Übersetzerin, wie ich dem Internet entnehme. Aber die "Angevins" nennt man im Deutschen doch die "Anjous", oder nicht? Und so gibt es manche Passage über Spezielles, die wohl mit heißer Nadel bei Nacht auf Deutsch nachgestrickt wurde und noch Überarbeitung gebraucht hätte, um nicht ganz so anglizistisch zu klingen. 

 

 

 

Okt. 2012

Hedwig Richter: Pietismus im Sozialismus. Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR. (KSG 186.) Göttingen: V & R, 2009.

Die Dissertation meiner Schwester macht mich natürlich stolz. Weil sie Einiges aus der Stasi-Zeit in der DDR aufdeckt, war das Buch sogar vor Gericht und sollte verboten werden. Doch es erwies sich alles als wahr und korrekt und das Buch darf wieder verkauft werden! Meine Eltern schenkten mir meine wertvolle Ausgabe. 

 

 

Sommer 2012

Robert Harris: Titan. Roman, aus dem Englischen von Wolfgang Müller. München: Wilhelm Heyne, 2011. Geburtstags-Geschenk einer Kollegin.

Wir befinden uns im Jahr 63 v. Chr., Cicero wird Konsul. Spannend!!!! Man meint, man läuft selber durch das Rom meines Lateinunterrichts.

 

Frühjahr 2012 

 

Eric Metaxas: Bonhoeffer. Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet. A. d. Englischen von F. Lux. Dt. Fassung bearb. v. R. Mayer. Holzgerlingen: Hänssler, 2011. Ein vermeintlich ausgelutschtes Thema in evangelischen Kreisen Deutschlands wird hier von einem unbelasteten Amerikaner völlig neu, absolut spannend und mit nie dagewesener Anschaulichkeit erzählt.

 

Joachim Gauck: Winter im Sommer -- Frühling im Herbst. Erinnerungen. In Zusammenarbeit mit Helga Hirsch. München: Pantheon, 2011. Schlichter Stil, aber geistreich, und vor allem interessant der Vergleich mit einem Pfarrer wie Bonhoeffer. Beide hatten nicht direkt persönliche Glaubensgründe, warum sie Theologie studierten, beide wurden dann aber im Kirchendienst in den Glauben hinein genommen. Bei Gauck befürchtet man, dass der Aufstieg in die Politik ihn dem Glauben wieder entfernt hat. Aber er weiß immer noch alles, das Theologische und auch das Psychologische. 

Rolf Scheffbuch: Das "Heilige Korntal" und die Welt. Stuttgart: Ev. Gemeindepresse, 2006. Nur eines von mehreren Büchern des produktiven Großonkels und Prälaten über die Missionsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Das hier genannte ist ein Rundgang über den Friedhof, der nach Art der Herrnhuter Friedhöfe angelegt ist. (Nur eine Platte, kein Schmuck.) Vor Jahren führte mich Onkel Rolf persönlich mit einem Freund über diesen Friedhof. Vielen Dank!!!! War sehr eindrücklich, z.B. wie Du das Schicksal des Kenia-Missionars beschrieben hast (Ich glaube, es war Johannes Rebmann), der keinen einzigen "Eingeborenen" taufen konnte in all den Jahrzehnten, nach dessen Tod aber eine riesige Kirche entstand. Interessant natürlich auch die Verbindungen nach Calw, zu Blumhardt, Gundert und Hermann Hesse. 

 

Rolf Scheffbuch: Das Kullen-Schulhaus in Hülben. Bad Urach: Bühlersche, 2011. Ein Büchlein zum 200jährigen Erbauungs-Jubliläum des Schulhauses in Hülben. (Obwohl es nicht für die Erbauungsstunden erbaut wurde, erbaut die Familien-Saga um dieses Haus heute noch viele! Meine Mutter schrieb Geschichten daraus als Adventskalender. Das müsste man mal veröffentlichen.)

 

 

 

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