Bücher, die ich gerade lese

Mi, 27.03.2013

Schwer hustend und erkältet lese ich im Bett: Patrick Leigh Fermor: Bd. 1: Die Zeit der Gaben. Und Bd. 2: Zwischen Wäldern und Wasser. Geschenk meiner Mutter zu Weihnachten. Der spätere britische Geheimagent schildert sich als Taugenichts, der nirgendwo einen Abschluss schaffte. Also zieht er zu Fuß los als 18jähriger, im Jahr, als Hitlers Herrschaft begann, von Holland durch Deutschland, Österreich, Ungarn, Rumänien. Ich glaub ja, dass Vieles dafür spricht, dass er schon da so halb ein Spion war. Aber klasse ist, wie er allem Neuen positiv gegenübertritt, in jedem Vogel, Wasserbüffel, jeder Sprache das Gute sieht, das Interessante, Zusammehänge über Jahrhunderte und Kontinente erkennt. Er zeigt sich als unglaublich gebildet, auch ohne Schulabschluss, geschichtlich, kunstgeschichtlich, sprachlich, geografisch. Verpackt es in einen Rausch von Sprache, Beobachtungen, Gefühle, Begegnungen. Nie ist er allein, immer findet er einen Freund und finden Gespäche statt. Er sieht noch das alte Europa vor Hitlers Krieg: Strohdächer, Trachten, Zigeunermusik, deutsche Läden in Arad, jüdische Rabbis. Er versucht, die Kulturen zu verstehen mit Sympathie, Wissen und Einfühlungsvermögen. Man bekommt so Lust, dort zu sein! Wie anders dagegen kurz darauf die deutschen Truppen! Ein Jammer! Da waren auch gebildete Leute dabei, aber sie sahen alle Osteuropäer als Untermenschen, alles, was Fermor so bunt und anziehend und reich und wunderschön schildert, als schmutzig und niedrig! Dieser deutsche Krieg zeigt einmal mehr bei der Lektüre dieses britischen Buches seine Blödheit!

Außerdem ist es eine meisterhafte Odyssee: Er strandet hier und da, trifft immer wieder eine Dido, eine Nausikaa, eine bezirzende Zirze, muss aber bald weiter. Also weit mehr als Reiselektüre, das ganze, das pralle Leben, also ein Roman, ein Epos! 

7.3.2013

Mein Vetter H.-E. St. empfahl mir Stephen Greenblatt: Die Wende. Wie die Renaissance begann. Aus dem Englischen von Klaus Binder. München: Siedler, 2012. (Orig. The Swerve. How the World Became Modern. New York: W.W. Norton & Co., 2011.)

Es geht um Lukrez, den Römer aus Cäsars Zeit, dessen atomistische, physikalische, materialistische, atheistische, epikureische Philosophie-Abhandlung in sechs Gedichtbänden namens De rerum natura (On the Nature of Things) die Seele für sterblich erklärt und die Angst vor dem Tod durch naturwissenschaftliche Erklärungen nehmen will und zur Lebensfreude aufruft. Greenblatt nun nimmt diese Schrift als Ausgangspunkt für seine Erklärung der Renaissance und der modernen Welt überhaupt. 

24.02.2013

Daniel Kehlmann. Die Vermessung der Welt. Hamburg: Rowohlt, 2005. Mal sehen, was aus Humboldt und Gauß wird. Darstellung scheint etwas übertrieben nach heutigem Geschmack, Gauß als junger Mann recht heutig beschrieben, exzentrisch auf eine bestimmte Weise, wie Schüler oft sind. 10.03.2013: Das war mein erster Eindruck. Nun merke ich, dass darin das Besondere des Buches besteht! 

In "heutigem Gewand" eine alte oder fremde Geschichte erzählen. Man sagt, "die Zuhörer da abholen, wo sie stehen". Das ist die Aufgabe jeder Literatur, jedes Films, jedes Unterrichts. Eine große Kunst. In den historischen Filmen hat Kleopatra die Frisur der Frauen zu der Zeit, als der Film gedreht wurde, nicht die der Zeit von Kleopatra vor 2000 Jahren. Das würde unmöglich aussehen! Das ist Übersetzungskunst, Erzählkunst. Oder man denke an die mittelalterlichen Altargemälde, Jesu Kreuzigung im Gewand des Spätmittelalters, die Landsknechte.

Und Daniel Kehlmanns Meisterschaft besteht wohl (sicher unter vielem Anderem, das ich nicht bemerkte) auch darin: Es ist kurzweilig und lustig! Er macht alles in indirekter Rede, die man ja im Deutschen mit dem Konjunktiv so herrlich ausdrücken kann.

Beispiel: Und jetzt, sagte Lorenzi, müssten alle einander an den Händen nehmen! Nie im Leben, sagte Humboldt. Es sei doch nicht weiter schlimm, sagte Gauß und fasste Lorenzis Hand. Wenn man sie hinauswürfe, wäre ihnen auch nicht geholfen. (Kapitel Die Geister, ziemlich am Anfang.)

Das klingt gebildet und schön. Andererseits sagen die Menschen in dieser heute elegant klingenden indirekten Rede ihre Sachen so flapsig und lustig, wie heutige Jugendliche. Da merkt man, dass Kehlmann aus einer Filmemacher- und Schauspielerfamilie kommt, wenn er die Kraft von glaubhaften Alltags-Dialogen so gut kennt, die auch noch lustig und kurzweilig sind. So muss ein Film sein, ein gutes Theaterstück, man muss sich selber reden hören, nur viel lustiger und geistreicher.

Beispiel für das Durchscheinen der heutigen Umgangssprache: Humboldt blieb abrupt stehen. Was denn, rief Bonpland wütend. Humboldt fragte, ob er das auch sehe. Na aber sicher doch, sagte Bonpland ... 

Überprüfen könne es ja keiner, sagte Humboldt nachdenklich. Eben, sagte Bonpland. Er habe das nicht gesagt, rief Humboldt. Was gesagt, fragte Bonpland. .... (Kapitel Der Berg, ziemlich am Schluss.)

 

Markus Hofer: Die zweite Halbzeit entscheidet. Strategien für Männer ab 40. Innsbruck, Wien: Tyrolia, 3. Aufl. 2012. Erinnert an Anselm Grün oder -- im Betonen von Männertypischem -- an John Eldredge. Kommt aus therapeutischer und seelsorgerlicher Praxis. Bildstark und lebensnah.


Luo Guanzhong (Erfinder), Feng Menglong (Autor), Der Aufstand der Zauberer. Ein Roman aus der Ming-Zeit (1368--1644). Hg. und übers. von Manfred Porkert. Ffm.: Fischer, 2009. Es wimmelt von rosa Wolken, Affen, Zauberern, Schrift-Leporellos, Beamten, Kaufleuten, Mönchen und Pilgern. Sehr anschaulich und witzig manchmal, aber schwer zu verstehen die Denkweise des fernen China. Aber ein unersetzliches Erlebnis. 

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