Wird der Männerkreis zukünftig ein Yeti-Kreis?

Watzmann-Wochenende 2011

Treffen sich zwei Yetis im Himalaya. Sagt der eine zum andern: Du, ich habe gestern den Reinhold Messner vorbeiklettern sehen. Sagt der Andere: Was, den gibt’s wirklich? Jens, der immer ein paar Witze auf Lager hat, erzählte diesen gestern Abend, dem 17. Sept. 2011, nachdem wir in der Dunkelheit einen Gasthof erreicht hatten auf 700 Höhenmetern, kurz vor dem Einbruch des Regens. Zu der anvisierten Ingolstädter Hütte auf 2100 m hatten wir es nicht geschafft. Die Wimbachgries-Hütte auf 1300 m, zu der wir glücklicherweise um 18 Uhr gelangt waren, hatte uns nicht aufnehmen wollen. Die Schuhe von einem unserer Gruppe waren vorne offen, an einem war die Sohle komplett abgefallen. Mit Hilfe von umgebundenen Fetzen eines Handtuches, das er zerrissen hatte, schaffte es unser Survival-Künstler, der überhaupt sich durch große Leichtfüßigkeit und Schnelligkeit am Fels ausgezeichnet hatte, wie durch ein Wunder (er sagte, er bete ständig), Felswände, Geröllhalden und sandig-rutschige Stellen hinab zu kommen. Von der Hütte, die uns nicht aufnehmen wollte, bis zum Gasthof waren es noch 2 ½ Stunden Fußmarsch, die er dann in der Dunkelheit in Hausschuhen zurücklegte! Wie Yetis, nicht mehr wie Menschen, kamen wir wankend vor Schmerzen an!

Wie konnte es zu all dem kommen? Am Anfang steht Rolf. Ich weiß nicht, ob es diesen Rolf gibt und wer er ist. Rolf gab Christoph auf einer christlichen Freizeit den Tipp für diese Tour. Rolf ist aber ein Marathonläufer und ein Bergfex vor dem Herrn (Yeti?). Denn als wir am Freitagabend nach stundenlanger Autofahrt aus dem Beruf heraus im Berchtesgadener Land ankamen, auf dem Wimbach-Brücken-Parkplatz in Ramsau auf 700 m, ging es noch mal kurz sage und schreibe 1300 Höhenmeter hinauf zum Watzmannhaus!! Der Weg war dachsteil, es wurde dunkel. Ein herrlicher Mondaufgang über Hitlers Obersalzberg brachte die weißen Kalkfelsen zum Leuchten. Wir warfen scharfe Schatten. Die Grillen sangen nochmal ihr Sommerlied. Frank, der den ganzen Tag noch praktisch nichts gegessen hatte, aß im Mondschein ein Brot. Dieser erste Abend war extrem!!! Doch Frank, der kühle Rechner und Planer, ließ sich nichts anmerken. Er sagte nur am nächsten Tag, er habe sehr schlecht geschlafen. Oben machte grad die Küche zu. Es langte noch eine Suppe, und dann ins Bettenlager, um am Morgen um sechs das karge Frühstück zu schlucken. Martin, unser Sanitäter, der große Zyniker, hatte recht: Er sieht alles schlechter, als es ist: Aber hier hatte Martin wirklich mal recht, es war extrem, was Rolf da empfohlen hatte, zumal Rolf nicht dabei sein musste. Es war nicht mehr menschlich, man fing vor Qual an zu phantasieren, das Adrenalin verursachte eine merkwürdige Hochstimmung: Yeti war plötzlich eine nicht mehr unmögliche Vorstellung in dieser abschüssigen Felswüste.

Und trotzdem: wie die Ameisen gingen viele im Nieselregen die 600 m hinauf über ein Felsenmeer zum ersten Watzmanngipfel, dem Hocheck. Schon gab es einige Kletterstellen. Der Atem wurde immer schwerer, das Gepäck drückte. Ringsum ging es in die Tiefe. Oben aber umschwirrten uns die schwarzen Dohlen und ließen sich elegant in die Tiefe fallen. Zwei aus der Gruppe drehten um. Wir waren gespalten! Die anderen kletterten stundenlang den Grat entlang zum Mittelgipfel und zum Südgipfel (alle drei um die 2700 m). Ein böses und gefährliches Spiel. Felstürme rauf, auf der anderen Seite wieder runter. Wenn auf der einen Seite wenigstens noch unten etwas kommt, so ein paar Felsen, auf die man fallen könnte, dann hängte man sich auf die Seite des Grates hinunter und krallte sich ans Drahtseil. Aber dann kamen die Stellen, wo es auf beiden Seiten bodenlos nach unten ging und man auf einem 50 cm breiten Felsenband auf allen Vieren oder gebückt ans Seil geklammert entlang zuckelte, bloß nicht nach unten schauen. Zum Glück war inzwischen die angekündigte Sonne raus gekommen! Als wir auf dem letzten Gipfel, einem Monstrum von Felsklotz, von Wolken umlagert, stolz dachten, jetzt haben wir’s (es war auch Essen und Trinken aus), ging es nicht nur von 2700 auf 1300 Höhenmeter runter, nein man sah auch, dass die Übernachtungshütte hinter einem Pass lag, den wir nur erreichen könnten, wenn wir in ein, zwei Stunden unten sind. Nun zog sich dieser Abstieg aber in schwierigen Kletterstellen und rutschigen Schotter- und Sand-Bahnen stundenlang hin. Zum Glück wies uns jemand auf eine Wasserstelle hin, so dass wir wenigstens etwas zu trinken hatten. Jedenfalls war es abends halb sechs an diesem Samstag, als wir erstmals an diesem Tag seit heute morgen um halb sieben, einen ebenen Weg betraten. Zur Ingolstädter Hütte wären es noch fünf Stunden Aufstieg gewesen (nach zehn Stunden Watzmann-Überschreitung). Es gab zum Glück die nahe Wimbachgries-Hütte. Wir bekamen einen leckeren Gulasch, aber kein Nachtlager. Also nochmal drei Stunden Nachtmarsch das Tal vor bis zum Autoparkplatz. Selbst Christoph, der alles organisiert hatte und fest entschlossen gewesen war, noch zur Ingolstädter Hütte hoch zu steigen, sah es ein. Unser Wunder-Mann Dirk ging in Hausschuhen, siehe oben. Der Stimmung tat alles keinen Abbruch. Wie froh waren wir, als wir Funkkontakt bekamen und mit den anderen der Gruppe telefonieren konnten.

Was für eine Fügung!! Dirk konnte in Hausschuhen an diesem Abend bei Wetterleuchten nach über 10 Stunden Klettern nochmal drei Stunden „im finstern Tal“ gehen! Die anderen der Gruppe waren ins Tal abgestiegen (2000 Höhenmeter Abstieg!) und hatten sich ein Pensionszimmer im Tal genommen (selber Preis wie Hütte, bloß noch mit Frühstück dazu). Und sie besorgten uns dasselbe, so dass wir, als wir in die Zivilisation kamen, am Ortsrand mit Taschenlampen empfangen wurden und zu unserem Gasthof gebracht wurden, wo wir uns so Dinge gönnten wie einen Berg Eis mit Eierlikör und eine Dusche. Und nach der morgendlichen Trennung war die Gruppe nun wieder fröhlich vereint. Der Regen setzte ein, wir mussten von der Gasthaus-Terrasse nach innen in die Stube wechseln mit den vielen Geweihen und dem Kachelofen.

Nun schliefen alle gut in weichen Betten, während draußen vor dem offenen Fenster der Regen in die Blätter fiel. Der regnerische Sonntag führte uns dann per Auto nach Berchtesgaden, Bad Reichenhall und an den Königssee. Hitlers Obersalzberg-Museum war zu viel. Wäre es nicht so verhangen gewesen, die Berge wären oben weiß gewesen, wie uns versichert wurde. Wie froh waren wir. Der Königssee ist wie ein Fjord. Wie staunten wir, über ihm die Fels-Schrofen zu sehen, auf denen wir gekraxelt waren. Am See ist das berühmte Kalendermotiv, die Kirche St. Bartholomä mit drei roten Kuppeln. Aber wir nahmen es schon kaum noch wahr und hatten auch eine merkwürdige Begegnung: An der Bobbahn – die Banner der vergeblichen Olympiabewerbung Münchens hingen noch dran – tauchte ein Veteran auf, eine Art Phantom der Bobbahn, Rentner, der jeden Tag dort verbringt und beim Training zuschaut, bot an, für uns zu fotografieren und erzählte nebenbei sein Leben, ein typisches Männerleben, das uns zu denken gab. Wegen Sportkletterei Kinderwunsch verschoben, dann Frau nach Spanien abgehauen, Umschulung, dann Herzinfarkt in einsamer Wohnung, wie durch ein Wunder dank Klopfzeichen gerettet. Auf Dirks Nachfrage bestätigte er, dass er Kontakt zu einem „evangelischen Ehepaar“ habe und wieder in die Kirche eintreten wolle. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass dieser Mann, von dem wir nicht einmal den Namen wissen, Rolf heißt ...

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